Gestern um 12 Uhr ist mein Oliver gestorben.
Schon am Montag fühlte er sich sehr schwach. Und als wir am Dienstagmorgen
früh aufgestanden sind um zum Arzt zu fahren, fühlte er sich noch schlechter.
Er war so schwach, dass er kaum noch alleine durch die Wohnung gehen konnte.
Als das Taxi vor der Tür stand und wir runtergehen wollten, sagte er, er schaffe
die Treppen nicht herunter. Also haben wir das Taxi wieder weggeschickt und ich
habe beim Arzt angerufen und die Lage geschildert. Wir könnten ins Krankenhaus
kommen, um Blut zu bekommen, aber dann würde Oliver wahrscheinlich nicht mehr nach
Hause kommen (vielleicht nie wieder) oder wir könnten zu Hause bleiben, wurden
mir als Alternativen vorgeschlagen. Ich besprach mit dem Arzt, dass ich mich
gegen Mittag mit einer Entscheidung melden würde. Dann habe ich mich zu Oliver
ins Bett gelegt und ein bisschen in seinen Armen geweint. Wir haben darüber
gesprochen und waren beide unschlüssig. Wir hatten ja irgendwie noch immer die
Hoffnung, dass Oliver wieder gesund werden könnte.
Die Entscheidung ins Krankenhaus zu gehen war schon halb da,
als Olivers Mutter am frühen Vormittag zu uns kam. Auch mit ihr habe ich das
dann noch besprochen und auch sie tendierte eher für das Krankenhaus. Wir waren
nur so unsicher. In diese Unsicherheit hinein rief der Seelsorger des
Marienkrankenhauses Herr Scheuer uns an. Er hatte von der ambulanten ökumenischen
Hospitzhilfe, mit der ich am Montag kurz am Telefon gesprochen hatte, gehört,
dass es Oliver nicht so gut ging und wollte mal nachfragen. Ich schilderte ihm
die Situation und er wollte sich direkt darum kümmern, auf welche Station
Oliver denn kommen könnte, wenn er ins Krankenhaus müsste.
Wenige Minuten später rief er wieder an und teilte uns mit,
dass die Palliativstation des Marienkrankenhauses voll belegt wäre, ebenso wie
die onkologische Station. Unsere einzige Möglichkeit dort wäre die chirurgische
Station, was er uns aber nicht empfehlen würde. Er habe aber mal im
Jung-Stilling-Krankenhaus auf der Palliativstation angerufen. Dort sei gerade
ein Zimmer frei geworden. Wir haben uns also entschieden dorthin zu gehen. Also
habe ich einen Krankentransport bestellt, der Oliver auch die Treppen
runtertragen konnte. Und dann ging es am Dienstagmittag ins Jung-Stilling-Krankenhaus.
Im Krankenhaus hatten wir ein Zimmer für uns und Oliver hat
erst mal einige Zeit geschlafen. Zwischendurch habe ich ihn gefragt, wie er
sich fühle, ob er das Gefühl habe, wir würden das schaffen, weil es mir gerade
schwer fiele noch daran zu glauben. Oliver hatte noch immer Hoffnung. Er sagte:
„wir schaffen das“.
Nachmittags kam Herr Scheuer und wir hatten noch ein sehr
schönes Gespräch mit ihm. So ein langes und intensives Gespräch hatten Oliver
und ich schon länger nicht mehr, da er starke Probleme mit der Konzentration
hatte. Mithilfe von Herrn Scheuer konnten wir darüber sprechen, wie alles Gute
werden würde oder wie das Leben nach dem Tod vielleicht wäre und was für wunderschöne
Dinge wir dieses Jahr noch erlebt haben.
Abends kamen Olivers Eltern ins Krankenhaus. Irmtraud hatte
nicht mehr mit ins das Krankentransport-Auto gepasst und Rainer musste von
seiner Arbeit erst noch hier her fahren. Als die beiden kamen, saß jeder an
einer Seite von Olivers Bett und hielt eine Hand. Das war ein
wunderschön-trauriger Anblick. Dann ließen Irmi und ich Rainer und Oliver ein
bisschen alleine. Rainer erzählt, dass Oliver zu ihm gesagt habe, morgen
müssten sie mal ein Stückchen laufen, die ganze Zeit im Bett rumzuliegen, das
sei ja auch nichts. Oliver konnte sich kaum selbst aufsetzen… Er hat auch versucht
Rainer aufzumuntern und sagte auch ihm, dass alles gut werden würde.
Nachdem Rainer und Irmtraud gegen neun Uhr gegangen sind, haben
wir uns bettfertig gemacht. Oliver ist mithilfe von Schlafmitteln gut
eingeschlafen. Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht, weil er ganz aufgeregt
war. Er fand das Licht nicht und auch den Rufknopf nicht. Ich habe versucht ihn
zu beruhigen und den Pfleger gerufen. Das ist dann in der Nacht noch ein paar
Mal passiert. Oliver hatte zwischendurch das Problem, dass er das Gefühl hatte,
er muss sich bewegen, aber nicht die Kraft dazu hatte. Es gab dann noch ein
bisschen Schlafmittel oder der Pfleger hat Oliver was zutrinken gereicht.
Morgens war Oliver dann nicht sehr erholt und immer noch
sehr müde. Er konnte nicht gut sprechen, da sein Hals so trocken war. Als er
sich aufrichten wollte, fing er wieder ganz hektisch an zu atmen. Er bekam dann
noch etwas zur Beruhigung und schlief bald ein. Um noch etwas mit Oliver
kuscheln zu können, habe ich unsere Betten zusammengeschoben.
Ich hatte dann mit der Ärztin und der Stationspsychologin
ein Gespräch über seinen Zustand. Da Oliver die Hoffnung nicht aufgegeben
hatte, wollte ich alles versuchen, damit ihm noch geholfen wird gesund zu
werden, aber die Ärztin hat mir dann klar gemacht, dass wir nichts mehr tun
könnten, nicht nur das Blut wäre schlecht, sondern der ganze Körper finge an zu
versagen. Die Psychologin sagte mir, dass Menschen, die kurz vorm Tod ständen
oft mehr Hoffnung hätten als zuvor. Manche Menschen machen dann sogar noch
Urlaubspläne. Auf meine Frage, wie lange wir noch hätten, sagten sie wenn
überhaupt dann nur noch ein paar Tage.
Um etwa 11 Uhr sind Ollis Eltern gekommen. Oliver hat die
ganze Zeit geschlafen. Ich wollte die drei etwas alleine lassen und bin ins
Wohnzimmer gegangen. Wenige Minuten später hat Rainer mich geholt, Olivers Atem
wurde flacher. Irmtraud und ich haben uns auf mein Bett gelegt, ich an seinem
Kopfende, sie an seinen Beinen, Rainer saß auf der anderen Seite und hat ihm
die Hand gehalten. Olivers Atem wurde immer schwächer, bis er gar nicht mehr
geatmet hat.
Oliver soll nächste Woche Samstag in Rehehausen beerdigt
werden. Wir wünschen uns, dass alle, die das Bedürfnis haben sich dort von ihm
zu verabschieden kommen. Niemand muss kommen, der sich nicht danach fühlt. Wir
legen keinen Wert auf „wie sich das gehört“. Jeder soll einfach auf seinen
Bauch hören.
Da wir alle so verstreut leben und auch viele von uns keine
Tageszeitung haben, werde ich hier noch genaueres veröffentlichen.